Text: Alexander Scholz (as@sceen.org)
Erstveröffentlichung (Englisch) in SCEEN Issue 2
Kostas Pataridis (navis), Sotiris Varotsis (aMUSIC), Nikos Batalas (Amoivikos), Fotis Panetsos (Leviathan) und George Cherouvim (ch3) haben das geschafft, was man in einer subkulturellen Ausnahme-Bewegung wie der Demoszene schaffen kann. Ihre Demos haben die wichtigsten Wettbewerbe auf den größten Partys Europas gewonnen, ein Dauer-Abo auf die jährlichen Scene.org-Awards und lassen die visuelle Grenze zwischen von Echtzeit- und vorberechneter Animation immer wieder verschwimmen. Für die Premieren von ASD-Produktionen allein würden brave Demoscener durch halb Europa reisen. Und wenn es dann soweit ist, sitzt man etwas fester auf den Stühlen, hält noch gespannter inne und den Atem länger an. Auch, weil ASD gern mal populären Erwartungen mit experimentellen Seitensprüngen begegnen. Und sich immer wieder neu zwischen - filmisch gesprochen - 'Bollywood' und 'Arthouse' positionieren. Vorzugsweise dann, wenn man sie gerade in einer audiovisuellen Schublade etikettiert zu haben glaubte.
The Oxford Connection
Diese Geschichte beginnt irgendwann 1992. Als sich die Coder Navis und Incus (Stelios Mintsidis) mit dem Pixel-Talent Amoivikos zu ASD zusammentaten, war das Software Development tatsächlich noch ganz ernst gemeint. In Erinnerung bleiben allerdings eher kleine Intros und Demos, die kaum über die örtliche BBS, lokale Parties bzw. die Grenzen der frühen griechische Demoszene hinaus reichten. Mehr als zehn Jahre später, Hauptprogrammierer Navis studiert mittlerweile in Oxford, beginnen sich die Ereignisse zu überschlagen. Nachdem aMUSIC als erster fester Musiker, Leviathan als der zweite, einsteigen und ch3 als 3D-Modeler die nun fünfköpfige Gruppe komplettiert, erreicht die Geschichte von ASD 2004 ihren ersten Höhepunkt.
Instant classic
Planet Risk war auf Anhieb dieser Klassiker. Eine Siegerdemo, ohne die eigentliche Competition zu gewinnen. ASDs Urknall-Demo belegte beim Wettbewerb der namhaften finnischen Assembly 04, einer der wichtigsten Veranstaltungen der Demoszene, zwar nur den zweiten Platz, war aber sofort Headliner-Demo, kreatives Gesicht der ganzen Veranstaltung, sowie Referenz und Thema der folgenden Monate. War den Jungs im Vorjahr auf der gleichen Veranstaltung noch mit einem soliden 4ten Platz für Dreamchild das internationale Szene-Debut gelungen, qualifizierte sich ASD mit Planet Risk quasi über Nacht zu den Chefrockern der Szene. Während man über ästhetische Feinheiten vielleicht streiten, allenfalls nörgeln kann, muss man eingestehen, dass Planet Risk nach Demo-Standards außergewöhnlich war. Und ASD damit eine audiovisuelle Sprache, einen Stil etablierte, der in seiner Reichhaltigkeit zu recht als Meilenstein gefeiert und mit zahllosen Ehrungen gewürdigt wurde - genügend obskure Artefakte um den Künstler zu befrieden, mehr Pop für den Rest der Welt.
"Es war ziemlich schwer Planet Risk zusammenzubasteln, da die Gruppe auf zwei Länder verteilt ist." erinnert sich Navis. "Während Musik und Grafik nahezu im gleichen Tempo entwickelt wurden, haben wir es dennoch nie geschafft wirklich gemeinsam, zur selben Zeit, am Demo zu arbeiten. Also Dinge zu erledigen wie alle Ideen durchzusprechen, mit den Sounds zu experimentieren oder die Grafiken neu anzuordnen. Tatsächlich ist das bis heute ein typisches Problem für ASD und ich weiß immer noch nicht, wie wir das beheben könnten." Demzufolge verlief die Produktion von Planet Risk recht langsam. Also in etwa so, dass pro Woche 30 Sekunden fertig gestellt wurden. Einzig der Mitteilteil (beginnt mit dem "ifs"-Fraktal und hört beim Bluttunnel auf) war in wenigen Tagen fertig, da einfach alle Teile auf Anhieb perfekt zusammen passten. "Dies ist mein Lieblingsteil der Demo. Selbst nach dieser langen Zeit begeistert mich dieser Abschnitt restlos.", so Navis. Was andere Leute ähnlich sehen: Planet Risk wurde öfter herunter geladen als alle anderen ASD-Demos zusammen!
Als man im Jahr darauf die beiden ersten Teile einer Trilogie, Aphorism for the Masses und Ambience for the Masses zeitgleich auf den Szene-Veranstaltungen Breakpoint 05 (Deutschland) und The Gathering 05 (Norwegen) releaste (der dritte Teil Antidote for the Masses folgte noch in derselben Woche auf der Pixelshow 05, Griechenland), stand das Publikum das erste Mal Kopf. Nicht, weil das Konzept einer Demo-Trilogie außergewöhnlich oder der Aufwand eines Doppel-Releases auf zwei parallel stattfindenden Veranstaltungen beeindruckend war, sondern weil beide Demos (vor allem Aphorism) mit allem brachen, was man bisher von ASD gesehen hatte, gewohnt war und erwarten konnte. Zerstörte, fragmentierte Videoschnipsel ersetzten opulente 3D-Modelle, entrückte Soundscapes machten Schluss mit gefälligen Harmonien. Vom cineastischen Überformat in der "Comfort Zone" zur experimentellen Erfahrung jenseits der "Borderline". Und das bei vollem Platzierungsrisiko im inner-szenischen Wettbewerb.
Während so ASD die Scene.org-Award-Doppelspitze "Best Demo" und "Best Demo Public's Choice" für den Vorjahresabräumer Planet Risk verliehen bekam, wurde auf der gleichen Veranstaltung das aktuelle Werk Aphorism for the Masses in der Demo-Competion mit einem müden 13. Platz abgewatscht. Trifft sowas? "Natürlich wäre es eine eklatante Lüge zu sagen, dass die Platzierung keine Rolle spielen würde. Aber das gilt auch für jeden Anderen, der eine Demo in einem Wettbewerb veröffentlicht.", gibt aMUSIC zu. "Klar ist es eher sarkastisch und ironisch gemeint, dass wir die Phrase "für die Massen" in den Titel einbauten, denn diese Demo war nie als Sieger gedacht. Dennoch glauben wir dass es speziell denjenigen gefallen hat, die sich die Zeit genommen haben um etwas genauer auf die Details zu achten."
"Vielleicht sollten wir ein Geheimnis lüften.", wirft Navis grinsend ein. "Alle Demos wurden zur selben Zeit gemacht. In letzter Sekunde tauschte ich die Titel und die Verbindung zwischen Antidote und Ambience aus, nachdem ein Freund meinte, dass Ambience anstatt Antidote besser zur The Gathering passen würde. Manchmal ist unsere visualisierte Sprache, mit der wir unsere Geschichten in Demos erzählen, wohl zu oberflächlich um von allen so verstanden zu werden, wie wir es meinten. Deshalb ließ sich dies so leicht abändern." Was jedoch nichts an der innerszenischen Verwirrung und Kontroverse um ASD änderte. Während die einen mit der stilistischen Neuausrichtung überfordert waren und einen Planet Risk Nachfolger einforderten, begeisterten sich andere für die neue audio-visuelle Signatur und den Mut zum Experiment. "Vom ursprünglichen Konzept abzuweichen ist doch nichts Falsches.", meint Navis. "Und genauso wichtig ist es, unser Publikum ein wenig zu provozieren. Letztendlich haben wir viel mit dieser Trilogie gelernt und konnten einige Erfahrungen auch in Iconoclast einbauen, etwa optische Verzerrungen, die auf den Sound reagieren.", wirft aMUSIC achselzuckend ein. Technische Stunts überbrücken letztlich so manchen präferenziellen Abgrund.
Den nächsten Höhe- und Wendepunkt erfuhren sowohl ASD als auch die Kontroverse nur wenige Monate später auf der finnischen Assembly 05. Die Gewinner-Demo Iconoclast stellte sich nämlich als genau die Über-Demo heraus, die viele nach Planet Risk erwartet hatten. In einer nie da gewesenen Opulenz bäumen sich visuelle Reize, Übergänge und Musik zu einer Fülle von Stilen, Farben und Formen auf, die nicht nur den Grafikprozessoren bei der Echtzeit-Berechnung alles an Leistung abverlangen, sondern auch die Grenze des zu Vereinbarenden wegfeiern - und die Szene endgültig entzweit. Da mischt sich griechischer Sirtaki mit verpoppten Gitarren, abstrakte Formen wechseln mit konkreten 3D-Modellen. Nie gesehene, bizarre Kreaturen ebenso wie alte Bekannte aus Planet Risk sowie Analogien und Referenzen auf sich selbst und andere Demos. Kreation und Zerstörung in einem nicht enden wollenden Kreislauf. Intensität, die schon fast wehtut. Kohärenz, Essenz, Konzept? Eher ein üppiger Medley, ein Best-Of - und von allem mehr als genug.
"Navis verwendet niemals irgendwelche Tools.", sagt aMusic über seinen Programmierer. "Er mag es einfach eine Demo von Grund auf neu zu programmieren. Er glaubt an den "Code" und dafür kann ich ihn eigentlich nicht verfluchen." Der ASD-Programmierer ergänzt: "Iconoclast hat mich ziemlich ausgelaugt. Fast hätte ich den Trip zur Assembly nicht mehr geschafft. Über Monate hinweg fühlte ich mich erschöpft und dachte, dass ich nie wieder eine so große Demo in Angriff nehmen würde."
Iconoclast lässt sich am besten mit einem Wort beschreiben: Es ist cineastisch. Es wurde im traditionellen Stil eines Films angefangen - doch es gab kein Drehbuch dafür. Während die unterschiedlichen Szenen in zufälliger Reihenfolge entstanden sind, wurde die Musik in einem Rutsch von Anfang bis Ende komponiert, ohne dass eine Richtung vorgegeben war. "Das erklärt, warum der Rhythmus der Musik nicht immer zum visuellen Erlebnis passt. Dennoch hat alles seinen natürlichen Fluss und oftmals eine verrückte, unerklärliche Verbindung zueinander. Eine Geschichte, die von zwei unterschiedlichen Stimmen zur gleichen Zeit erzählt wird, nämlich der Musik und der Optik. Wir in ASD sprechen hier oft von emotionalem Einklang.", erklärt aMUSIC den Ansatz der Musik in ASD-Demos. Insbesondere der Soundtrack aus Iconoclast hat zahlreiche kontroverse Diskussionen über diese Demo heraufbeschworen. "Während ich viel Lob, aber auch Kritik, speziell im Hinblick auf die Gitarren mitbekommen habe", sagt aMUSIC, "denke ich dass es die persönliche Vorliebe oder Abneigung gegenüber einem speziellen Musikstil ist, welchen die Leute hier kundtun."
Diese beiden Einzelteile - Visuals und Musik - per Code harmonisch zusammenzufügen, schien schwierig zu werden. "Wir hatten wohl wahnsinniges Glück, dass alles gepasst hat.", meint Navis. "Ich weiß nicht ob die Musik ein Meisterwerk in Sachen Rhythmus ist oder es an meinem Gespür für die "Abtaktung" der Effekte lag, aber Optik und Musik harmonierten von Anfang an prächtig miteinander, sowohl was den Rhythmus, als auch das Gefühl betrifft." Etwas, das sich offenbar direkt auf das Publikum übertrug und Iconoclast zweifellos zur am leidenschaftlichsten diskutierten Demo in 2005 machte. Ein weiterer Scene.org Award in der Kategorie "Wahl des Publikums" war verdient und wie die abschließende Zäsur eines der schillerndsten Kapitel in ASD's Demo-Geschichte.
"Mit Iconoclast habe ich alle Effekte die mir eingefallen sind, zum Leben erweckt.", fährt Navis fort. "Aus diesem Grund habe ich nichts mehr übrig, womit man noch beeindrucken könnte, was auch seine guten Seiten hat. Ich kann mich jetzt mehr auf die Erzählung und das Design konzentrieren als auf das Programmieren reiner Demo-Effekte. Um es einfach zu sagen, fühle ich mich einfach erleichtert und frei um am nächsten großen Ding zu arbeiten, egal wie viel Zeit das verschlingen wird."