298 - Revision 2016: Nächster Stopp, Hollywood! (.de)

Bobic, Tue 12 Apr 2016



1.000 Menschen! Allesamt angetrieben von der Liebe für digitale Kreativität, der hemmungslosen Leidenschaft für Szenedemos. Jene Effektwunder, die abseits des Kommerz neue Wege beschreiten, technische Meisterleistungen vollbringen, aufgrund ihrer oftmals ungewöhnlichen Aufbereitung aber niemals in den Massenmarkt vordringen konnten. Glücklicherweise nicht. Denn nur so können sich die Macher, die Programmierer, Grafiker und Musiker, ihren Ideenreichtum bewahren. Genau diese Menschen trafen sich am Osterwochende in Saarbrücken zur Revision 2016, der weltweit größten Veranstaltung der Demoszene. Was diese Künstler und Fans dort, und die Generation "Sofascener" zu Hause via Stream genießen durften, war nicht nur ein perfekt und höchst professionell organisiertes Megaevent, sondern vor allem brutale Effektqualität. Sensationelle Echtzeitkunstwerke wurden veröffentlicht, die wir euch auf den folgenden Seiten näher präsentieren möchten.

Nach der Party beginnt die Arbeit. Eine Mammutveranstaltung wie die Revision aufzuarbeiten, kann dauern. Vor allem, weil die Qualität in den mehr als zwei Dutzend kreativen Wettbewerben extrem hoch war. Wir sahen ein atemberaubendes Chinatown das direkt aus dem nächsten Deus Ex stammen könnte (Shapeshift), durften erkennen, wie anmutig doch ein weiblicher Körper wirkt, der nur in ein Kleid aus Partikeln gehüllt ist (Instant God). Auch wissen wir nun, dass photorealistische, messerscharfe Optik auch in einer Größe von 64 Kilobyte möglich ist (Darkness lay your eyes upon me) und dass man im Weltraum doch Schreie hören kann. Nämlich vor Begeisterung und aus hunderten von Kehlen gleichzeitig, als Mercury ihre ebenfalls nur 64kb kleine Intro Fermi Paradox zeigten. Vor allem diese beiden Werke zeigen, dass die Demoszene neue Wege erforscht. Wir dürfen hier fast nicht mehr von Computerkünstlern, sondern von Filmemachern sprechen. Beide Intros erzählen Geschichten, setzen diese filmreif in Szene und verzichten auf typisch abstraktes Effektbrimborium, während der typische EDM-Sound unheilschwangeren Tönen weichen musste.

Gelernt haben wir außerdem, dass das Alter keine Rolle in der Demoszene keine Rolle spielt. Der jüngste visuelle Künstler, der sein Werk auf dem Szenefestival in Saarbrücken vorstellte, war gerade einmal sieben Jahre alt (wir berichteten). Doch eine Persönlichkeit ließ all diesen Grafikbombast, diese faszinierende Welt der digitalen Wunder, zur Nebensache verkommen. Evilbot, virtueller Moderator und machtbesessener Droide, der die Demoszene unterwandern und ihre Traditionen brechen möchte.


Heimlicher Star der Revision 2016: Evilbot, virtueller Moderator und machtbesessener Droide, der
extrem witzig jeden Wettbewerb einleitete, wie hier am Beispiel der Amiga Demo Compo zu sehen.


Wie professionell, liebevoll und durchdacht dieses riesige Fest aufgezogen war, ist allein an dieser Figur zu erkennen, die der gesamten Veranstaltungen ein stimmungsförderndes Thema verpasste. Bereits vor ein paar Jahren hatte Evilbot auf der Revision seinen ersten Auftritt. 2016 ist er zurückgekehrt um bewährte Dinge anders zu machen. Immer vor dem Start eines jeden Wettbewerbs hatte der teuflische Blechkumpel seinen Auftritt. Begleitet von sensationell guten Drum 'n' Bass Klängen schmetterte er seine Ideen mit eindrucksvoller Roboterstimme und extrem witzig aufbereitet (als Beispiel soll die Amiga Demo Compo dienen) den Zuschauern entgegen. Bereits diese Art von Vorspann sorgte für perfekte Atmosphäre und Vorfreude auf die anstehenden Compos. Schön wäre es, wenn diese Clips als separates Demo veröffentlicht würden. Zu gerne würden wir sie uns noch einmal anschauen - nicht nur auf YouTube in den Compo-Blocks!

Doch zurück zum Effektgeschäft. Bevor wir in die einzelnen Kategorien starten präsentieren wir unsere Highlights von der Revision 2016 als Appetitanreger. Der Rest vom Fest folgt in den kommenden Tagen auf den nachfolgenden Seiten.

Die wichtigsten Releases:



Shapeshift / Cocoon (PC Demo, 1. Platz)
Brutale Qualität. Mehr als diese zwei Worte benötigt man eigentlich nicht, um Shapeshift von Cocoon zu beschreiben. Wir wissen ja, dass die Franzosen überragende Fähigkeiten auf dem 3D-Sektor haben. Was sie jedoch hier, ganz im speziellen während der futuristischen Chinatown-Szene zeigen, lässt uns nach Worte ringen. Der Detailreichtum dieses Moments, die blinkenden Lichter, Schilder, der herbeirauschende Polizeigleiter, die Farbgestaltung. All dies ist hier schlichtweg perfekt gelungen und könnte direkt im nächsten Spiel der Deus Ex Reihe auftauchen. Bis zu diesem Zeitpunkt ist Shapeshift überragend. Angefangen von der atmosphärischen Eröffnung mit Cocoon-Logo, typisch detailreichen Bodentexturen und brillantem Soundtrack weiß man genau, dass hier etwas gigantisches unterwegs ist. Doch nach der Future-City kommt der Stilbruch. Ohne Ankündigung wird man ins Freie versetzt, in die Berge. Das passt nicht ungedingt zusammen, was man auch im späteren Demoverlauf noch das ein oder andere Mal erkennen wird. Auch diese Hügellandschaft ist technisch meisterhaft inszeniert, sieht mit den fasernden Wurmobjekten auch höchst stylisch aus, genau wie alle anderen Szenen. Der obligatorische Cocoon-Raum mit Metaballs, ein aus Partikeln bestehender Totenkopf und vieles mehr. All das sind Szenen, die den Stil der Demoszene repräsentieren, aber kein harmonisches Gesamtbild abgeben. Das haben Cocoon in anderen Werken schon besser gelöst. So werden wir uns an Shapeshift als fantastischen aussehenden und klingenden Technikgiganten erinnern, der beim Design über seine Vielfalt gestolpert ist, zwar nicht fällt, aber ein wenig strauchelt. Hätten Cocoon eine reine Chinatown-Demo gebaut, bei der Flüge wie einst in State of Mind vorhanden gewesen wären, sie hätten umgehend in Hollywood anheuern können.



Instant God / CNCD & Fairlight (PC Demo, 2. Platz)
Es ist schier unglaublich. CNCD und Fairlight erfinden sich Jahr für Jahr neu. Dabei sind sie immer direkt dran am Rad der Zeit, sowohl was die Technik, als auch die Gestaltung angeht. Und doch schaffen sie es ebenso diverse Zeitsprünge zu verarbeiten. Im Falle von Instant God sind dies Anspielungen an Kultdemos wie State of the Art und ihre eigenen Werke wie Agenda Circling Forth. Seit diesem Werk sind sechs Jahre verstrichen. Zeit, in der sich auf dem Technologiesektor einiges getan hat. Das sieht man in Instant God, denn die Menge an Partikel, die hier drin stecken, lassen selbst ein Meisterwerk wie die Agenda wie ein Pixelkunstwerk aus der 16bit-Ära wirken. In einer Unterwasserwelt, in welcher typische Smash-Pfeile wie ein Schwarm Fische umherzieht, wird dieses Partikelschauspiel aufgezogen. Immer wieder entstehen neue Formen, abstrakte Gebilde, die zu den modernen Beats ihren Tanz aufführen. Was man zu Beginn nicht weiß ist, dass dieses diffuse Spiel eigentlich von einer Frau verursacht wird. Erst im späteren Verlauf sieht man ihre Umrisse, wird immer tiefer in den Atmosphärstrudel hineingezogen, saugt mit steigender Spannung jede ihrer Bewegungen auf. Doch dann ist plötzlich Ruhe. Die Musik verstummt, die Umrisse des in ein permanent waberndes Partikelkleid gehüllten Wesens werden ein wenig deutlicher. Dann erklingt eine engelsgleiche Stimme, die der Musik eine völlig andere Richtung gibt und wir entschweben zusammen mit den pulsierenden Würfeln in höhere Sphären. Instant God entfesselt erst gegen Ende sein volles Potential und zeigt, wie stimmungsvoll Demokunst sein kann.



Fermi Paradox / Mercury (PC 64k Intro, 1. Platz)
Und im Weltraum hört man doch jemanden schreien! Nämlich vor Begeisterung und aus hunderten von Kehlen gleichzeitig! Als Mercury ihre nur 64kb kleine Intro Fermi Paradox auf der Revision 2016 zeigten, flippte die Besuchermeute vollends aus. Fermi Paradox ist anders als bisherige Intros. Es ist kein Werk das typsich abstrakte Effekte zeigt. Es hat keinen fetzigen Soundtrack. Die daran Beteiligten dürfen auch nicht als Demomaker bezeichnet werden. Passender ist da schon die Bezeichnung Filmemacher. Denn Fermi Paradox erzählt eine Geschichte. Es hat einen Plot, der konsequent von Anfang bis Ende durchgezogen wird und orientiert sich mit seiner Soundkulisse mehr an die Branche der bewegten Bilder. Dabei werden fantastische Szenen gezeigt die uns davon träumen lassen, einmal selbst das All zu erkunden. Beyond oder Parsec waren gestern. Nun reist man mit Mercury in ein fantastisches Abenteuer das in allen Aspekten Maßstäbe setzt.



Darkness lay your eyes upon me / Conspiracy (PC 64k Intro, 2. Platz)
Regie: Zoom, Kamera: BoyC, Sounddesign: Gargaj. So und nicht anders dürfen die Credits im Abspann zu Darkness lay your eyes upon me lauten. Die Zeit, in der wir von Code, Graphics und Music gesprochen haben, sind vorbei. Ein Anruf aus Hollywood dürfte für die Gruppe Conspiracy nicht mehr lange auf sich warten lassen. Diese 64k Intro ist keine Szenedemo mehr. Es ist ein Film. Ein durch und durch bedrohlicher, der eine unheilschwangere Atmosphäre kreiert. Mit seinen photorealistischen Bildern, einer Grafikqualität, die wir so noch nicht in einem solch kleinen Werk von gerade einmal 65.536 Byte erlebt haben. Auch mit seiner Soundkulisse, die den Begriff Noise-Demo neu definiert und uns durch Mark und Bein fährt. Vor allem aber mit der Art und Weise der gesamten Präsentation. Ein verlassenes Haus, ein Mann, der vor einem brennenden Feld steht und einen Knüppel in der Hand hält. Später schleppt sich jemand die Treppe einer U-Bahnstation hoch, bevor die Welt im Chaos versinkt und auseinanderbricht. Das sind keine Szenen, die man in einem Werk der Demoszene vermutet. Aber es sind Szenen die gleichzeitig begeistern, aber auch unter die Haut gehen. Conspiracy sprechen von einem 64 Kbyte Short Film. Sie wissen wir warum. Wir ebenso.



The Zarahustler / JUGZ (PC Demo, 5. Platz)
Gott sei Dank gibt es Unity! Seit der unglaubliche Jugi Kaartinen sich in die mächige Grafikengine eingearbeitet hat, sprüht er geradezu wieder vor Szenekreativität und liefert uns großartige Momente. Der beste Beweis dafür ist The Zarahustler. Bereits für die ersten 30 Sekunden muss man ihn umarmen und dankbar sein. Dieses feminene Geschöpf mit seiner linienartigen Plasmahaut war für uns einer der intensivsten Momente der Revision 2016. Auf Anhieb haben wir uns in dieses Wesen verliebt und ihren Tanz, ihr Glitch-Gesicht und zerfließenden Formen genossen. The Zarahustler ist modern und treibend, abstrakt und schön zugleich. Ein wirklich intensiver Videoclip auf künstlerisch hochwertigem Niveau.



Soleu / Collapse (PC 4k Intro, 1. Platz)
Soleu ist mit seinen fantastischen Licht- und Schattenspielereien und der majestätischen Kulisse eine Offenbarung für Architekturliebhaber. Die künstlerisch hochwertige Gestaltung ist für ein Werk dieser Größe beachtlich und bietet etliche stimmungsvolle Momente, deren Atmosphäre auch durch die ruhigen Klänge zusätzlich an Reiz gewinnen. Und das, obwohl die Musik etwas zu künstlich erzeugt klingt.


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Seite 5: Das Beste aus den Grafikwettbewerben


(Bobic, 03.04.2016)


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